Wie weit komme ich mit einem Euro?
Also was bekomme ich für einen Euro, um einen Tag zu überleben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich weiß es nicht. Wie selbstverständlich gebe ich 2,20 Euro für einen Kaffee-to-go aus und später 3,30 für einen Döner mit Mineralwasser. Das sind bestimmt keine Unsummen. Rein für den Genuss gebe ich bis 13 Uhr einfach mal das sechsfache von einem Euro aus. Nun, warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber?
Ich bin auf dem Weg zu einem Park in Nürnberg. Dort plane ich meine Mittagspause im Freien zu verbringen. Ich liebe es in der Sonne zu sitzen, etwas zu Essen und für 15 Minuten kurz wegzudösen.
Der Bettler-Elevator-Pitch
Auf dem Weg zu meiner Parkbank spricht mich ein Obdachloser an. Er benutzte eine interessante Eisbrecher-Strategie, in dem er fragt, ob ich Deutscher sei. Er verpackt es philosophischer: „Ich habe mir gedacht, ich spreche diesen jungen Mann an, und frage ihn, ob er der Deutschen Sprache mächtig ist.“ – „Etwas Deutsch spreche ich“, sage ich maßlos untertreibend.
Dann bitte er mich um einige Cent, da er durstig ist (wohlgemerkt benutzt er nicht den Konjunktiv I). Ich denke bei mir: Gib nicht alles für Alkohol aus und strecke ihm einen Euro hin. Er
bedankt sich vielmals, da er wohl nicht erwartet hat so einfach zu neuem Reichtum zu kommen.
Es war die Art und Weise wie er das Gespräch aufbaute, die mich zunächst unterbewusst beeindruckte. Außerdem kann er nicht wissen, dass ich vor 18 Monaten einem Leidensgenossen von ihm begegnete.
Früher dachte ich, geh Arbeiten, ich muss mir den Euro auch verdienen. Als ich einmal einem Bettler den Euro aus dem Einkaufswagen verweigerte, kam ich eine Minute später zurück und gab ihm die Münze. Wir unterhielten uns lange über Lokalpolitik und er erzählte mir aus seinem Leben. Nach diesem Erlebnis korrigierte ich meine Einstellung gegenüber Bettlern.
Es ging mir nie um den einen Euro oder darum immer mehr Geld zu sammeln. Mir geht es eher um die Geste. Mitmenschen etwas Gutes zu tun. Zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
Nach einigen Minuten auf der Parkbank wird mir klar, dass ich über außergewöhnliche Startbedingungen verfüge. Der eine Euro ist nicht mein limitierender Faktor, es ist Zeit. Deshalb schreibe ich Jobs bei Elance aus. Ich suche nach virtuellen Assistenten, die Artikel für meine Internet-Projekte schreiben. Über Nacht bewerben sich dutzende VAs auf eine Stelle als Autor.
Wenige Minuten später, höre ich die nächste SPI-Episode als Podcast. Ich tauche ab, in eine Welt der englischsprachigen Bits-und-Bytes. Im Zentrum dieser Welt herrschen Conversion-Rates und Monetarisierungsstrategien. Es ist eine Welt, die dem Obdachlosen wohl für immer verschlossen bleiben wird. Jedenfalls kann ich mir schwer vorstellen, dass er seine Euros zukünftig aus Adsense-Anzeigen bezieht.